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Praxis zu Art. 125 Abs. 4 FinfraG (vormals Art. 22 Abs. 3 BEHG)

Zulässigkeit von allgemeinen Opting out-Klauseln

Grundsatz und Voraussetzungen

Grundsätzlich kann eine Gesellschaft die Angebotspflicht auch nach erfolgter Kotierung jederzeit statutarisch ausschliessen. Dies jedoch nur, sofern keine Benachteiligung der Aktionäre im Sinne von Art. 706 OR bewirkt wird. Der Verweis auf Art. 706 OR wird als zusätzliches (übernahmerechtliches) Gültigkeitserfordernis verstanden, und damit als Kompetenzgrundlage für die UEK, die Gültigkeit eines nachträglichen Opting out zu überprüfen. Ob bei der nachträglichen Einführung keine solche Benachteiligung der Aktionäre vorliegt und das nachträgliche Opting out folglich gültig ist, prüft die UEK anhand der Erfordernisse der Transparenz und der Zustimmung der Mehrheit der Minderheit:

Transparenzerfordernis: Damit die Aktionäre in voller Kenntnis der Umstände entscheiden können,  müssen sie gestützt auf das Erfordernis der Transparenz in der Einladung zur Generalversammlung präzise Informationen erhalten, welche an der Generalversammlung vor der Abstimmung mündlich zu wiederholen sind.

Zustimmungserfordernis: Wenn die durch die Einführung der Klausel potentiell benachteiligten Aktionäre der Einführung der Opting out-Klausel mehrheitlich zustimmen, vermutet die UEK die Richtigkeit dieser Entscheidung und damit, dass keine Benachteiligung der Aktionäre i.S.v. Art. 706 OR vorliegt (Richtigkeitsvermutung).

Eine zivilrechtliche Klage betreffend die Anfechtung des Generalversammlungsbeschlusses gestützt auf Art. 706 OR bleibt stets vorbehalten.

Verfügung 646/01 vom 17. November 2016 in Sachen ACRON HELVETIA VII Immobilien AG, Erw. 1.1, Rz. 2-3

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting out-Klausel)

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Urteil BVGer B-3119/2015 vom 27. August 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 5.1.1

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting out-Klausel)

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 600/01 vom 22. April 2015 in Sachen Kaba Holding AG, Erw. 1.1, Rz. 2-3

(in casu im Zusammenhang mit einer selektiven Opting out-Klausel, basierend auf der Überlegung, dass ein selektives Opting out einen weniger starken Eingriff  in die Rechte der Aktionäre bedeutet als ein "generelles" Opting out und daher unter dem Aspekt des Anlegerschutzes ebenfalls zulässig sein sollte; Praxisänderung)

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 594/01 vom 5. März 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 1.2.2, Rz. 13

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting out-Klausel)

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 590/01 vom 20. Februar 2015 in Sachen LECLANCHE SA, Erw. 1, Rz. 3-4

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting up-Klausel)

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 539/01 vom 24. Juni 2013 in Sachen Logan Capital AG, Erw. 1, Rz. 2-3

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting out-Klausel, Bestätigung der neuen Praxis gemäss Verfügung 518/01 vom 11. Oktober 2012 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holdings AG)

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 531/01 vom 26. April 2013 in Sachen Perfect Holding SA, Erw. 2.2, Rz. 11, Erw. 4.2, Rz. 20

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting out-Klausel, Bestätigung der Praxis gemäss Verfügung 518/01 vom 11. Oktober 2012 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holdings AG (ADB 2012), in casu mit einer klarer strukturierten Darstellung der in ADB 2012 entwickelten Kriterien);

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 518/01 vom 11. Oktober 2012 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holdings AG, Erw. 3-5, Rz. 10-28, insbes. Erw. 4, Rz. 12, Erw. 4.1, Rz. 17

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting out-Klausel, generelle Praxisänderung gegenüber der vorherigen Praxis gemäss Verfügung 490/01 vom 22. September 2011 in Sachen LEM Holding SA)

Transparenz: Erfordernis der Abstimmung auf Basis umfassender Information

Zweck der Transparenzregel

Zweck der Transparenzregel ist es, dass jeder Aktionär eine freie und bewusste Entscheidung über die Einführung eines Opting out / opting up treffen kann. Liegt die übernahmerechtlich geforderte Transparenz nicht vor, hat das Opting out / Opting up zumindest gegenüber jenen Aktionären, welche eine Informationspflicht trifft, keine Wirkung.

Umfang der Information für die Aktionäre

Die Vermutung, dass keine Benachteiligung der Aktionäre vorliegt, wenn die potentiell benachteiligten Aktionäre der Einführung des Opting out / Opting up zustimmen (Richtigkeitsvermutung), kann nur gelten, soweit die Aktionäre gebührend über (i) die Sachlage, (ii) die wahren Absichten des die Einführung verlangenden Aktionärs sowie der Aktionäre mit Kontrollbeteiligung und (iii) die Konsequenzen der Einführung der entsprechenden Opting out- / Opting up-Klausel (allgemein und in Bezug auf den jeweiligen Fall) informiert werden.

Formelle Transparenz-Erfordernisse bezüglich des Informationsprozesses

Wenn der Verwaltungsrat oder ein Aktionär ein Opting out / Opting up beantragt, so muss er dementsprechend Informationen liefern (i) über die Gründe seines Antrages, (ii) über die geplante Transaktion sowie (iii) über den daraus resultierenden Kontrollwechsel. Der Verwaltungsrat hat diese Informationen in die Einladung zur Generalversammlung, an welcher über die Einführung der Opting out-/Opting up-Klausel abgestimmt werden soll, zu integrieren. Die GV-Einladung hat zudem auch Informationen über die generellen Auswirkungen des Opting out-/ Opting up zu enthalten. Diese Informationen sind mündlich an der Generalversammlung vor der Abstimmung zu wiederholen.

Das Transparenz-Erfordernis verlangt insbesonder, dass die (übrigen) Aktionäre rechtzeitig über bereits konkret geplante Projekte und verhandelte Transaktionen mit Investoren informiert werden. Sind die (übrigen) Aktionäre im Zeitpunkt der Abstimmung über die Opting out- / Opting up-Klausel nicht angemessen über solche Transaktionen / Projekte informiert, entfaltet die Opting out- / Opting up-Klausel gegenüber dem Aktionär, welchen die Informationspflicht trifft, respektive gegenüber dem betreffenden Investor aus übernahmerechtlicher Sicht keine Wirkung.

Vgl. zur weniger strikten Anwendung der formellen Transparenz Erfordernisse bei Opting out-Klauseln, die vor der Praxisänderung in Verfügung 518/01 vom 11. Oktober 2012 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holding AG (ADB 2012) eingeführt wurden, nachstehenden Praxisleitsatz.

Weniger strikte Anwendung der formellen Transparenz-Erfordernisse bei Opting out-Klauseln, die vor der Praxisänderung in Verfügung 518/01 vom 11. Oktober 2012 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holdings AG (ADB 2012) eingeführt wurden

Die UEK legt bei Opting out-Klauseln, die vor der Praxisänderung (ADB 2012) eingeführt worden sind, in formeller Hinsicht einen weniger strikten Massstab an (insbesondere bezüglich der aktuellen (formellen) Anforderungen an den Detaillierungsgrad der GV-Einladung). Die UEK prüft demgegenüber umfassend, ob das Transparenzerfordernis materiell  erfüllt wurde, d.h., ob die Minderheitsaktionäre vor der Abstimmung über hinreichende Informationen zur fundierten Entscheidfindung (informed consent; consentement éclairé) verfügten.

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 531/01 vom 26. April 2013 in Sachen Perfect Holding SA, Erw. 2.2, Rz. 12, Erw. 4.2, Rz. 26-27

(in casu informed consent verneint, da die Minderheitsaktionäre an der GV nicht hinreichend über die generellen Auswirkungen des Opting out informiert worden seien, insbesondere, dass sich nicht nur die antragstellende Familie Grey, sondern künftig jeder Aktionär, ob alt oder neu, sich auf die Opting out-Klausel berufen könne.)

Zustimmung der "Mehrheit der Minderheit" der Aktionäre

Es wird vermutet, dass der von der Generalversammlung gefällte Entscheid betreffend die nachträgliche Einführung eines Opting out / Opting up im Gesellschaftsinteresse liegt (Richtigkeitsvermutung) und keine Benachteiligung der Aktionäre vorliegt, wenn die Opting out- / Opting up-Klausel in zweistufiger Abstimmung mit (i) der absoluten Mehrheit aller vertretenen Stimmen sowie (ii) der absoluten Mehrheit der potentiell benachteiligten (vertretenen) Aktionäre angenommen wird. Dazu können nacheinander zwei separate Abstimmungen (durch UEK präferierter Modus) abgehalten oder die Stimmabgabe in einem Abstimmungsdurchgang entsprechend separat ausgewertet werden. Die Anfechtungsklage nach Art. 706 OR bleibt vorbehalten.

Verfügung 646/01 vom 17. November 2016 in Sachen ACRON HELVETIA VII Immobilien AG, Erw. 1.3, Rz. 7

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting out-Klausel).

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 600/01 vom 22. April 2015 in Sachen Kaba Holding AG, Erw. 1.3, Rz. 7

(in casu im Zusammenhang mit einer selektiven Opting out-Klausel) 

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 590/01 vom 20. Februar 2015 in Sachen LECLANCHE SA, Erw. 1.2, Rz. 11-15

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting up-Klausel. Verzicht auf eine gesonderte Auszählung der Stimmen der Mehrheits- und der Minderheitsaktionäre, da (i) es zur Zeit der Abstimmung keine Aktionäre mit Kontrollbeteiligung gab, (ii) die Einführung der Klausel nicht von Aktionären beantragt wurde und (iii) die Generalversammlung in offener Abstimmung (Handerhebung) mit absolutem Mehr und nur einzelnen, isolierten Gegenstimmen und Enthaltungen der Einführung der Opting up-Klausel zustimmte);

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 539/01 vom 24. Juni 2013 in Sachen Logan Capital AG, Erw. 1.2, Rz. 12

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting out-Klausel, Verzicht auf eine gesonderte Auszählung der Stimmen der Mehrheits- und der Minderheitsaktionäre, da die Generalversammlung in offener Abstimmung der Einführung der Opting out-Klausel einstimmig und ohne Stimmenthaltungen zustimmte)

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 531/01 vom 26. April 2013 in Sachen Perfect Holding SA, Erw. 4.2, Rz. 20

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting out-Klausel)

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 518/01 vom 11. Oktober 2012 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holdings AG, Erw. 4, Rz. 13-15, Erw. 4.1, Rz. 19

(in casu im Zusammenhang mit einer Opting out-Klausel und im Bewusstsein, dass das Erfordernis der zweistufigen Abstimmung zwar in Einklang mit Empfehlung 018/02 vom 6. Juni 2000 in Sachen Esec Holding AG, Erw. 2.2 steht, jedoch in Widerspruch zur Verfügung der EBK vom 23. Juni 2000 in Sachen Esec Holding AG, Erw. 4, wonach keine gesetzliche Grundlage für eine Sonderabstimmung bestehe)

Lehnt die Mehrheit der potentiell benachteiligten Minderheitsaktionäre die nachträgliche Einführung einer Option out / Opting up-Klausel ab, wird demgegenüber vermutet, dass die Opting out-Klausel eine Benachteiligung der Minderheitsaktionäre im Sinne von Art. 706 OR bewirkt und entsprechend aus übernahmerechtlicher Sicht ungültig ist. Die Anfechtungsklage nach Art. 706 OR bleibt vorbehalten.

Insbesondere Kreis der potentiell benachteiligten Aktionäre ("Minderheit")

Nicht zu den durch die Einführung der Opting out-/Opting up-Klausel potentiell benachteiligten Aktionären zählen grundsätzlich (i) Aktionäre, die die Einführung der Klausel beantragen (und solche, in gemeinsamer Absprache mit dem Antragsteller handeln) und (ii) Aktionäre mit Kontrollbeteiligung, insbesondere Aktionäre, die direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten mindestens 33 1/3% der Stimmrechte der Gesellschaft auf sich vereinigen.

Vermutung der Benachteiligung bzw. Nicht-Benachteiligung der Aktionäre kann widerlegt werden

Wiederlegung der Vermutung der Nicht-Benachteiligung durch Vorliegen besonderer Umstände

Liegen besondere, ausserordentliche Umstände vor, welche gegen die bestehende Vermutung sprechen, behält sich die UEK vor, eine materielle Prüfung der Klausel gemäss Art. 706 OR vorzunehmen. Sie wird aber nur zurückhaltend und nicht ohne Not eingreifen, insbesondere bei Vorliegen einer doppelten zustimmenden Mehrheit.

Widerlegung der Vermutung der Benachteiligung durch Vorliegen besonderer Umstände

Auch im Falle der Ablehnung des Opting out durch die Mehrheit der Minderheitsaktionäre, kann die Vermutung der Benachteiligung ebendieser Minderheitsaktionäre aufgrund aussergewöhnlicher Umstände widerlegt werden und sich eine Prüfung der materiellen Zulässigkeit der Klausel gemäss Art. 706 OR rechtfertigen, namentlich wenn sich abzeichnet, dass die Einführung des Opting out einem überwiegenden Gesellschaftsinteresse entspricht, etwa wenn ein neuer Investor bei einer in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Gesellschaft einsteigt (vgl. Verfügung 440/01 vom 4. Juni 2010 in Sachen COS Computer Systems AG Erw. 2.1).

Rechtsfolge bei Vorliegen einer Benachteiligung der Aktionäre: Opting out ist übernahmerechtlich ungültig und unwirksam

(i) Erfolgt die Abstimmung unter Missachtung des Transparenzerfordernisses (insbesondere dadurch, dass die Antragsteller im Zeitpunkt der Abstimmung bereits bestehende Projekte nicht hinreichend offenlegen) oder (ii) wird die Opting out- / Opting up-Klausel nicht von der absoluten Mehrheit der potentiell benachteiligten Aktionäre angenommen, so wird grundsätzlich eine Benachteiligung vermutet und (iii) liegen keine besonderen und aussergewöhnlichen Gegebenheiten vor, die eine Benachteiligung rechtfertigen, so ist die entsprechende Statutenbestimmung aus übernahmerechtlicher Perspektive ungültig und entfaltet keine Wirkung für bestehende oder zukünftige Aktionäre der Gesellschaft. Eine zivilrechtliche Klage betreffend die Anfechtung des Generalversammlungsbeschlusses gestützt auf Art. 706 OR bleibt vorbehalten. Schliesslich bleibt es den Antragstellern sowie der Gesellschaft grundsätzlich unbenommen, eine erneute Abstimmung zur nachträglichen Einführung des Opting out unter Beachtung der aktuellen Voraussetzungen der Richtigkeitsvermutung durchzuführen.

Zulässigkeit von selektiven Opting out-Klauseln

Der aktuellen Praxis zu nachträglich eingeführten Opting out-Klauseln liegt der Gedanke zu Grunde, dass die transparent aufgeklärten (Minderheits-)Aktionäre selbst entscheiden sollen, ob sie die Vor- oder Nachteile eines Opting out stärker gewichten. Vor diesem Hintergrund scheint es sachgerecht, auch ein Opting out zuzulassen, welches sich nur auf eine bestimmte Transaktion bezieht, da dies einen weniger starken Eingriff in ihre Rechte bedeutet, als ein "generelles" Opting out. Obwohl die namentliche Nennung von "Begünstigten" in Opting out-Klauseln eine Ungleichbehandlung von Aktionären bedeutet, wird diese durch das Interesse an der Transaktion gerechtfertigt.

Spielraum bei der Gestaltung von Opting out-Klauseln

Der Gesetzgeber hat mit dem Grundsatz der Angebotspflicht (Art. 135 Abs. 1 FinfraG) und den beiden Ausnahmebestimmungen über das Opting out (Art. 125 Abs. 3 und 4 FinfraG) und Opting up (Art. 135 Abs. 1 FinfraG) ein ausschliessliches, in sich geschlossenes gesetzliches System des Übernahmerechts geschaffen, welches durch die Möglichkeit der Einführung von selektiven Opting out-Klauseln im von der UEK festgelegten Rahmen ergänzt wird. Entsprechend besteht kein Spielraum für eine weitergehende, individuelle Gestaltung der Übernahmeregeln. Die Einführung einer statutarischen Angebotspflicht, deren Bedingungen dem geltenden Recht widersprechen, ist daher nicht zulässig.

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 610/01 vom 21. Juli 2015 in Sachen Schindler Holding AG, Erw. 4, Rz. 18-36

(in casu[nbsp]geplante Statutenklausel als unzulässig erachtet, wonach ein Erwerber von 50% oder mehr der Stimmrechte für die Eintragung im Aktienbuch nachweisen muss, dass er vor dem Eintragungsgesuch ein öffentliches Angebot lanciert hat, dessen Angebotspreis höchstens 10% unter dem in den vorangegangenen 12 Monaten bezahlten Preis lag)

Kompetenzgrundlage der UEK zur Prüfung von nachträglichen Opting out-Klauseln

Der in Art. 125 Abs. 4 FinfraG enthaltene Verweis auf Art. 706 OR wird als zusätzliches (übernahmerechtliches) Gültigkeitserfordernis verstanden, und damit als Kompetenzgrundlage für die UEK, die Gültigkeit eines nachträglichen Opting out zu überprüfen.

Intertemporalrecht

Grundsatz: Anwendbarkeit der Gültigkeitskriterien der neuen Praxis auf früher eingeführte Opting out-Klausel

Grundsätzlich ist eine neue Rechtsprechung unmittelbar anwendbar; auf pendente Sachgeschäfte somit im Moment des Inkrafttretens der Rechtssprechung. Dabei ist allerdings dem Gutglaubensschutz i.S.v. Art. 9 ZGB Rechnung zu tragen (BGE 135 II 78, Erw. 3.2), welcher insbesondere bei der Fristberechnung Anwendung findet (BGE 135 II 78, Erw. 3.3). Ein vor der Praxisänderung eingeführtes Opting out wird somit nach Massgabe der neuen Praxis (gemäss Verfügung 518/01 vom 11. Oktober 2012 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holdings AG) und ohne Rücksicht auf das Datum der Einführung der Opting out-Klausel durch die Generalversammlung auf ihre Gültigkeit geprüft, wenn der entsprechende Kontrollwechsel nach der Praxisänderung liegt.

Keine Prüfung der Gültigkeit von Opting out und Opting up-Klauseln im Rahmen einer gewährten Sanierungsausnahme

Gewährt die UEK eine Ausnahme von der Angebotspflicht gemäss Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG (Sanierungsausnahme), wird die Gültigkeit einer vorgängig eingeführten Opting up-Klausel nicht geprüft. Die gewährte Sanierungsausnahme gilt unabhängig davon, wo die eine Angebotspflicht auslösende Schwelle in einem konkreten Fall liegt.

Opting in

Zuständigkeit der UEK zur Prüfung der Abstimmungsmodalitäten betreffend Opting in

Für die Beurteilung der börsenrechtlichen (nicht aber der gesellschaftsrechtlichen) Abstimmungsmodalitäten eines Opting in (Streichung eines Opting out) ist die Zuständigkeit der UEK gegeben. Demgegenüber ist die Beurteilung von gesellschaftsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Abstimmung über ein Opting in Sache des hierfür zuständigen Zivilgerichts, es sei denn, es handle sich lediglich um die vorfrageweise Beurteilung von gesellschaftsrechtlichen Fragen durch die UEK. 

Keine Anwendung der Praxis der UEK zur nachträglichen Einführung eines Opting out auf das Opting in

Weil beim Opting in (Streichung eines Opting out) keine Gefahr einer Benachteiligung der Minderheitsaktionäre besteht, findet die unter Art. 125 Abs. 4 FinfraG entwickelte Praxis der UEK zur nachträglichen Einführung eines Opting out (Transparenz-Erfordernis / Mehrheit der Minderheit) bei einem Opting in keine Anwendung. 

Keine Rückwirkung des Opting in

Aktionäre können sich dazu entscheiden, eine bestehende Opting out-Klausel in den Statuten wieder zu streichen, was allerdings keine Rückwirkung entfaltet: Wird der Grenzwert von 33 1/3% der Stimmrechte vor dem Streichen der Opting out-Klausel in den Statuten überschritten, besteht rückwirkend keine Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes.

"Massgeschneidertes Opting in"

Zur Wiedereinführung einer teilweisen Angebotspflicht durch Anpassung einer bestehenden Opting out-Klausel in den Statuten, vgl. die Praxis und Kommentierung zum Opting out.