Volltext anzeigen Nur Überschriften anzeigen
Nur kommentierte Artikel zeigen Alle Artikel zeigen
Alle Praxis-Leitsätze zeigen Alle Praxis-Leitsätze verbergen
loading

Praxis zu Art. 125 Abs. 3 FinfraG (vormals Art. 22 Abs. 2 BEHG)

Statutarische Befreiung von der Angebotspflicht vor der Kotierung (Opting out)

Art. 125 Abs. 3 FinfraG ermöglicht den Gesellschaften, vor der Kotierung ihrer Beteiligungspapiere gestützt auf eine explizite Klausel in den Statuten festzulegen, dass ein Übernehmer nicht zu einem öffentlichen Kaufangebot nach Art. 135 FinfraG und Art. 163 Abs. 1 FinfraG verpflichtet ist (Opting out). Damit verzichten die Aktionäre auf die Anwendung der Schutzbestimmungen bezüglich des Pflichtangebots, wie namentlich auf die Einhaltung der Bestimmungen über den Mindestpreis, womit gewissen Aktionären ein höherer Preis für deren Beteiligungspapiere (sog. Kontrollprämie) geboten werden kann. Vorbehältlich abweichender statutarischer Bestimmungen bedarf es zur Einführung einer Opting out-Klausel der absoluten Mehrheit der vertretenen Stimmen gemäss Art. 703 OR.

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Urteil BVGer B-3119/2015 vom 27. August 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 3 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 610/01 vom 21. Juli 2015 in Sachen Schindler Holding AG, Erw. 1, Rz. 3 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 594/01 vom 5. März 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 1.2.1 und 1.2.2, Rz. 5-8

(in casu mit Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte, insb. das Spannungsverhältnis zwischen Angebotspflicht und Opting out)

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 569/01 vom 24. Juni 2014 in Sachen Pretium AG, Erw. 4, Rz. 8-10 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 549/01 vom 10. Oktober 2013 in Sachen Absolute Invest AG, Erw. 2, Rz. 3 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 530/01 vom 9. April 2013 in Sachen Fortimo Group AG, Erw. 3, Rz. 20 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 511/01 vom 8. Mai 2012 in Sachen BT & T Timelife AG, Erw. 1, Rz. 2 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 490/01 vom 22. September 2011 in Sachen LEM Holding SA, Erw. 2.1, Rz. 3 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 484/01 vom 23. Juni 2011 in Sachen EGL AG, Erw. 3, Rz. 4 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 428/01 vom 12. Oktober 2009 in Sachen Athris Holding AG, Erw. 3, Rz. 4 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 427/01 vom 29. September 2009 in Sachen Canon (Schweiz) AG, Erw. 3, Rz. 4

Zur nachträglichen Einführung eines Opting out vgl. die Praxis und Kommentierung zu Art. 125 Abs. 4 FinfraG.

Zu den Rechtsfolgen eines Opting out vgl. auch die Praxis und Kommentierung zu Art. 9 Abs. 5 und 6 UEV.

Sinn und Zweck des Opting out

Die Ausnahmeregelung zum Opting out soll insbesondere den börsenkotierten Familiengesellschaften die Möglichkeit bieten, einen Kontrollwechsel ohne die gesetzlich vorgesehene Angebotspflicht zu vollziehen. Durch das Opting out wird den jeweiligen Mehrheitsaktionären die Möglichkeit gegeben, ihre kontrollierenden Beteiligungen zu einem Preis an Dritte zu verkaufen, der eine (beliebig hohe) Kontrollprämie beinhaltet, ohne dass der Dritte dazu verpflichtet wäre, auch Minderheitsaktionären ein Angebot zu unterbreiten.

Das Opting out setzt die Publikumsaktionäre somit der Gefahr aus, dass ein Dritter die Kontrolle über die Gesellschaft übernimmt und die Strategie der Gesellschaft ändert, ohne dass die Publikumsaktionäre ihre Aktien verkaufen können.

Zusammenspiel von Opting out, Vinkulierung und Stimmrechtsaktien

Der Gesetzgeber schliesst die Kombination von Opting out, vinkulierten Namenaktien und Stimmrechtsaktien nicht aus und hat soweit ersichtlich auch keine Vorkehrungen zur Regelung oder Einschränkung des Zusammenspiels dieser drei Instrumente getroffen.

Vinkulierungsklausel und Opting out Klausel in den Statuten der Zielgesellschaft müssen separat betrachtet werden und zwar sowohl inhaltlich als auch verfahrensrechtlich.

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Urteil BVGer B-3119/2015 vom 27. August 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 5.1.2 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 598/01 vom 1. April 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 2.2, Rz. 13-16

(in casu mit dem Hinweis, dass dies nicht ausschliesse, dass im Rahmen der Auslegung einer Opting out Klausel, deren Wortlaut nicht ausreichend klar sei, allenfalls auch die übrigen Statutenbestimmungen - und damit auch eine allfällige Vinkulierungsklausel - zu berücksichtigen seien)

Opting Out bei neu gegründeter Zielgesellschaft

Enthalten die Statuten einer Zielgesellschaft, die im Rahmen einer Gesamttransaktion von einer kotierten Gesellschaft neu gegründet worden ist, eine Opting out-Klausel, dann ist diese gültig, sofern auch die Statuten der kotierten Gesellschaft, von der die Zielgesellschaft "abgespalten" wurde, eine gültige Opting out-Klausel enthalten.

Überprüfung der Gültigkeit von Opting out Klauseln

Zuständigkeit der UEK zur Überprüfung von Gültigkeit und Inhalt von Opting out-Klauseln

Feststellungsinteresse in Verfahren betreffend Gültigkeit einer Opting out-Klausel

Unterschiedlicher Prüfungsumfang und -Massstab je nach Zeitpunkt der Einführung des Opting out

Opting out nach Kotierung

Vgl. zur Prüfung der Gültigkeit von Opting out Klauseln, die nach der Kotierung eingeführt wurden, die Kommentierung und Praxis zu Art. 125 Abs. 4 FinfraG.

Auslegung von Opting out Klauseln

Statuten von Publikumsgesellschaften haben generell-abstrakten Charakter und sind vergleichbar mit einem Gesetz, weshalb bei ihrer Auslegung die Regeln zur Gesetzesauslegung massgebend sind. Dabei ist auf das Verständnis abzustellen, welches ein später hinzukommender Aktionär vernünftigerweise der einzelnen Bestimmung zuordnet. Ausgangspunkt für jede Auslegung ist der Wortlaut. Von einem klaren Wortlaut ist nur ausnahmsweise abzuweichen, etwa wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht.

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 598/01 vom 1. April 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 2.2, Rz. 15-20

(in casu Antrag der Gesuchsteller abgelehnt, dass die zur Diskussion stehende Opting out Klausel als selektiv zu verstehen sei)

Bei der Auslegung von Statutenbestimmungen, deren Wortlaut nicht ausreichend klar ist, gelangen die fünf bekannten Methoden der Gesetzesauslegung – die grammatikalische, systematische, teleologische, historische und zeitgemässe Auslegung – zur Anwendung, wobei gemäss Lehre und Rechtsprechung keiner dieser Methoden ein absoluter Vorrang zukommt. Vielmehr ist einzelfallweise auf jene Methoden abzustellen, die ein vernünftiges und praktikables Auslegungsergebnis ermöglichen.

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung FINMA vom 4. Mai 2015 in Sachen Sika AG, Erw. B. 3, Rz. 42-51; Erw. B.5, Rz. 60

(in casu Entscheid der Vorinstanz bestätigt und Antrag der Beschwerdeführer abgelehnt, dass die zur Diskussion stehende Opting out Klausel als selektiv zu verstehen sei, verbunden mit dem Hinweis, dass die fragliche Opting out Klausel für alle Beteiligten transparent war und somit jeder Aktionär und der gesamte Markt Kenntnis von der Opting out Klausel und der sich daraus ergebenden Rechtslage hatte)

Im Rahmen der Auslegung einer Opting out Klausel, deren Wortlaut nicht ausreichend klar ist, sind allenfalls auch die übrigen Statutenbestimmungen - und damit auch eine allfällige Vinkulierungsklausel - zu berücksichtigen.

Rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme eines Opting out

Im Allgemeinen

Das allgemeine Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB) gilt auch für die Inanspruchnahme einer statutarischen Opting out Klausel. Da dem Opting-out in seiner gesetzlich vorgesehenen Form die Ungleichbehandlung der Aktionäre per se inhärent ist, kann die Anwendung einer Opting out Klausel nur im Ausnahmefall und jedenfalls nicht allein deshalb rechtsmissbräuchlich sein, weil sie sich für die Minderheitsaktionäre nachteilig auswirkt.

Durch zweckwidrige Verwendung oder widersprüchliches Verhalten?

Die rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme eines Opting out kann sich unter Umständen aus zweckwidriger Verwendung oder widersprüchlichem Verhalten ergeben.

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 598/01 vom 1. April 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 2.3, Rz. 26

(in casu widersprüchliches Verhalten wegen gleichzeitiger Anrufung des Opting out durch die potentielle Anbieterin einerseits und deren Bestreitung, im Hinblick auf die Vinkulierung Direkterwerberin von Aktien der Zielgesellschaft zu sein, verneint) 

Durch Enttäuschung von erwecktem Vertrauen?

Das Konzept der Derogation eines statutarischen Opting out infolge enttäuschten Vertrauens durch die Mehrheitsaktionärin ist an sich untauglich, um eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme eines Opting out zu begründen. 

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Urteil BVGer B-3119/2015 vom 27. August 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 5.2.5 Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung FINMA vom 4. Mai 2015 in Sachen Sika AG, Erw. B.4, Rz. 54-59; Erw. B.5, Rz. 61

(in casu wurde der Entscheid der Vorinstanz bestätigt und eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des Opting out aufgrund einer allfälligen Enttäuschung von erwecktem Vertrauen durch die Mehrheitsaktionärin verneint)

Entscheid ergangen vor Inkrafttreten der neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzgebung am 1. Januar 2016Verfügung 598/01 vom 1. April 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 2.3, Rz. 23-25

(in casu rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des Opting out aufgrund einer allfälligen  Enttäuschung von erwecktem Vertrauen durch die Mehrheitsaktionärin verneint)

Opting in

Zum Opting in (Streichung eines Opting out), vgl. die Kommentierung und Praxis zu Art. 125 Abs. 4 FinfraG.